Die Spieltheorie Fröbels

Spielen

Die Fröbelsche Spieltheorie

Fröbel beschäftigt sich mit dem Spiel erst nach 1836 intensiver, parallel zum Aufbau seiner Vorschuleinrichtung, dem Kindergarten. In seinem Hauptwerk "Die Menschenerziehung" stellt er nur sehr kurz das Spiel des Kindes dar. Der Abschnitt ordnet sich ein in sein Stufenmodell der Kindesentwicklung.

"Spielen, Spiel ist die höchste Stufe der Kindesentwicklung, der Menschenentwicklung dieser Zeit; denn es ist freitätige Darstellung des Innern, die Darstellung des Innern aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Innern selbst, . . . Spiel ist das reinste geistigste Erzeugnis des Menschen auf dieser Stufe, und ist zugleich das Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens, des innern geheimen Naturlebens im Menschen und in allen Dingen..." 1)

Spiel ist nach dieser Fröbelschen Definition ein reines geistiges Erzeugnis; ein inneres Bedürfnis treibt das Kind zum Tätigwerden, eine intrinsische Erregung, die eine ungezwungene Tätigkeit provoziert. Diese Darstellung menschlichen Tuns ist aber stets im Zusammenhang mit der alle Entwicklungsstufen durchziehenden Grundformel zu sehen:

"Innerliches äußerlich, äußerliches innerlich zu machen, für beides die Einheit zu finden: dies ist die allgemeine äußere Form, in welcher sich die Bestimmung des Menschen ausspricht; darum tritt auch jeder äußere Gegenstand dem Menschen mit der Aufforderung entgegen, erkannt und in seinem Wesen, seiner Verknüpfung anerkannt zu werden; dazu besitzt der Mensch die Sinne, d. i. die Werkzeuge, durch welche er jene Forderung erfüllt, welches auch erschöpfend und genügend das Wort Sinn, d. i. selbsttätige Innerlich - Machung bezeichnet." 2)

Auch im Spiel findet Lernen statt. Das wird von Fröbel aber begrifflich nicht so dargestellt. "Spielen", "Lernen", "Arbeiten" sind für ihn Bezeichnungen, um dominante Tätigkeiten auf einer bestimmten Entwicklungsstufe auseinanderzuhalten.

Das Kind verarbeitet im Spiel das, was es aus den Informationen seiner Umgebung erfährt. Es stellt das dar, was es an Erfahrungen gesammelt hat und Vorgänge, die beobachtet wurden. Bei der Nachahmung der Erwachsenenwelt treten dem Kind, bedingt durch noch unausgereifte Motorik, aber auch mangelnde Erfahrungen, Grenzen entgegen. Im Spiel kann es kompensatorisch das erreichen, was sonst nicht bewältigt werden kann. Wesentlich ist aber die Überschneidung zu solchen Tätigkeiten, wie Lernen und Arbeiten. Beides geht auf der Kind - Stufe in die Spieltätigkeit mit ein, das Lernen mehr als die Arbeit. Wenn Lernen als informationsverarbeitender Vorgang aufgefasst wird, der zum Erfahrungserwerb und zur damit verbundenen Verhaltensänderung führt, dann ist dieser während des Spiels aktiv, ebenso auch beim Arbeiten.

Fröbel unterschied vorschulisches Lernen und schulisches und beschrieb dies in einem Brief im Januar 1842 über die ersten Erfahrungen mit seinem Kindergarten an Gräfin Therese Brunszvik:

"Das Gelernte geht hier sogleich wieder ins Leben über, ohne Gegenstand an sich zu werden, dadurch unterscheidet sich dieses Lernen von dem in der Schule, zu welchem das Kind dadurch erst vorbereitet werden soll." 3)

Das Kind wird in der Schule das Lernen bewusst betreiben, es wird gezielt Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten begreifen. Fröbel verwendete Begriffe oft in ihrer Bildhaftigkeit, so zum Beispiel auch das Wort "begreifen". Ein Gegenstand soll der "Selbst- und Freitätigkeit" des Kindes übergeben werden, damit dieser "erfasst (Faust) und begriffen (ge- und ergriffen) werden kann, . . ." 4) Mit dem Begreifen ist eine Handlung verbunden, also Tätigsein erzeugt den Lernvorgang, intentional. So sind alle Spiele und später im Knabenalter die Unterrichtsgegenstände in ihrem Gebrauch zu verstehen.

In seinen Ausführungen prognostiziert Fröbel, dass das konzentriert und ausdauernd spielende Kind sich damit die Grundlage für die künftige Arbeitstätigkeit schafft. Eltern, die diese Bedeutung des kindlichen Tuns nicht erfassen, behindern die Weiterentwicklung des Tätigkeitstriebes.

"Die Sinnen - und Gliedertätigkeit des Säuglings ist der erste Keim, die erste Körpertätigkeit, die Knospe, der Bildungstrieb; Spiel, Bauen, Gestalten die ersten zarten Jugendblüten, und dies ist der Zeitpunkt, wo der Mensch befruchtet werden muß für künftige Arbeitsamkeit, Fleiß und Werktätigkeit." 5)

Bei Fröbel ist selbst die Massenbewegung des Säuglings eine Erprobung der Leistungsfähigkeit seiner Gliedmaßen. Die erste Spielgabe, der Ball, ein Stoffball, der an einem Faden hängend sich bewegt, nach dem der Säugling gezielt greift, dient zur Schulung der "Sinnen - und Gliedertätigkeit". Das Spiel des Kleinkindes dient nicht dem Selbstzweck, sondern ist phylogenetisch verankerter Tätigkeitstrieb, der früher zur Erhaltung der eigenen Existenz diente und heute eine Vorübung für spätere Arbeitstätigkeit darstellt, indem es notwendige Denkoperationen ausbildet. So die 5. Spielgabe, der mehrfach geteilte Würfel, der Anregungen zum konstruktiven Denken bietet. Fröbels entwicklungsbedingte Systematik in den Spiel - und Beschäftigungsmitteln bietet ein relativ lückenloses Spielangebot, abgestimmt auf das jeweilige alterstypische Handlungsvermögen.

Auch die Tätigkeit "Spiel" ordnet sich in das ganzheitliche Denken Fröbels ein und ist ein Teil der Erkenntnistätigkeit des Menschen, die von früh an trainiert werden muss mit entsprechenden Angeboten durch die Eltern. Diese Art und Weise menschlichen Tuns ist stets im Sinne des Eingebettetseins in die gesamte Entwicklung der Menschheit zu sehen. Jedoch nicht ". . . auf dem toten Weg der Nachahmung, der Nach - und Abbildung, sondern auf dem lebendigen Wege der selbst - und freitätigen Entwicklung und Ausbildung. Jeder Mensch soll sie sich selbst und andern zum Vorbilde wieder frei aus sich darstellen; . . ." 6)

Definitionen des Spiels nach Fröbel

Namhafte Psychologen haben seit der Jahrhundertwende versucht, Spiel zu definieren. Es ist ihnen jedoch immer nur eine gewisse einseitige Hervorhebung und Vereinseitigung bestimmter Elemente der Spieltätigkeit bei der Beschreibung gelungen. HALLS betont in einer Rekapitulationslehre seine "Kulturstufentheorie", ebenfalls wie Fröbel, die Wiederholung phylogenetischer Entwicklungsstufen im Spiel des Kindes, jedoch ist bei letzterem dieser Prozess dynamisch und auf ständig höherem Niveau der Erfahrungswelt von Generation zu Generation zu interpretieren.

SPENCER beschrieb die "Kraftüberschusstheorie", nach der sich überschüssige Energie in Spieltätigkeit umsetzt. LAZARUS geht in seiner "Erholungstheorie" vom Auffrischen verbrauchter Energie und Kraft durch Spiel aus. PIAGET betrachtet das Spiel von der Seite der kognitiven Entwicklung des Kindes und kommt der Fröbelschen Darstellung, dass ein Spielobjekt durch das spielende Kind mit verschiedenen Inhalten oder Symbolen belegt werden kann.

Fröbel betont die "freitätige Darstellung des Innern, die Darstellung des Innern aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Innern selbst" in der Spielhandlung. HELANKO kommt 1958 7) mit seiner verfassten Definition der Fröbelschen Auffassung sehr nahe, der da betont, dass das Kind spielt, wenn es sich selbst das Ziel setzt etwas zu bauen und aus innerem Bedürfnis heraus dabei bleib. Diese Handlung jedoch zum Lernen oder zur Arbeit wird, wenn das Kind andere (z. B. Erzieher) anhalten, weiter zu bauen oder das Begonnene fertigzustellen. Auch WYGOTZKY (1978) und LEONTJEW (1977) 8) sehen das Spiel im Sinne Fröbels, wenn sie schreiben, daß es sich dabei um eine "sinnstiftende" Tätigkeit handelt, die das Kind, aber auch den Erwachsenen mit der Umwelt, mit anderen Menschen oder mit Objekten in Einheit und als Ganzes vereint.

Bedeutung der Sprache im Spielverhalten

Eine besondere Bedeutung in der Entwicklung des Kindes schrieb Fröbel der Herausbildung der Sprache zu. In der "Menschenerziehung" wird dies zwar nur kurz für die Stufe des Kindes dargestellt, aber bekommt einen Wert für die künftigen Spielhandlungen. Mit dem Wort kann das Spiel bereichert werden, kann das Kind Innerliches äußerlich darstellen, z. B. Veränderungen innerer Zustände. Schon in der Säuglingsphase lernt das Kind, daß Lautäußerungen soziale Bindungen herstellen. Es findet eine Aktivierung des Verhaltens anderer Personen statt. So ist das Lallen nicht nur ein Spiel, um die Sprechwerkzeuge zu trainieren, sondern auch um auszuprobieren, wie die soziale Umgebung reagiert. An dieser Stelle kommt es durch instrumentelles Konditionieren zur Manifestierung des für das Kind erfolgreichen Verhaltens, und viele Eltern lassen schon die ersten Erziehungsfehler zu. Aus dem Spiel mit Lautäußerungen entwickeln sich so die ersten Grundlagen für späteres Fehlverhalten.

Vorerst ist aber "die Sprache noch eins mit dem sprechenden Menschen, auch (fällt) die Sprache und Sprachbezeichnung dem sprechenden Kinde, mit dem zu bezeichneneden Gegenstand zusammen, d. h. es kann Wort und Sache . . . noch nicht trennen." 9)

Auf dieser Stufe der Menschheitsentwicklung "beginnt die eigentliche Erziehung des Menschen durch zwar verminderte körperliche, aber erhöhte Geistespflege und Geisteshut." 10) Die Sprache wird zum Werkzeug für Denkoperationen, zum Bindeglied zwischen Innerem und äußerem, "darum erteilt auch das Kind auf dieser Stufe der Menschheitsentwicklung jedem Dinge Lebens-, Empfindungs-, Sprachfähigkeit mit, und von jedem Dinge glaubt das Kind, dass es höre; eben weil das Kind beginnt sein Inneres äußerlich darzustellen, so setzt es gleiche Tätigkeit auch in alles übrige ihn umgebende, sei es ein Stein oder ein Hölzchen, sei es ein Gewächs, eine Blume oder ein Tier." 11)

Hier wird schon deutlich, wie eng Spiel und Sprache miteinander verbunden sind und wie wichtig beides für die geistige Entwicklung und Reifung sozialer Kompetenz ist. Das Kleinkind hantiert und spricht auf dieser Stufe der Entwicklung mit dem Gegenstand im direkten Kontakt. Es ist noch nicht in der Lage, eine Handlung gedanklich vorwegzunehmen oder das Ziel dieser zu verbalisieren bzw. auf andere zu übertragen.

". . . das Sprechen ist auf dieser Stufe noch ein von dem Menschen ganz Ungetrenntes; ja er kennt und erkennt sie noch gar nicht als etwas Eigenes; sie ist eins mit ihm, wie sein Arm, sein Auge, seine Zunge, ohne dass er selbst noch etwas von ihr weiß." 12)

Das Wort ist noch an das Ding, die Sache, den Vorgang gebunden. Ein Transfer findet nicht statt. Dieser kann und muss vom Erwachsenen dem Kind beigebracht bzw. vorgeführt werden. Die Unterlassung dieser Hilfe wird sich später in der Schule bei "schwer lernenden" Kindern bemerkbar machen. Die Sprache muss sich nach und nach verselbständigen, denn dadurch werden Informationsverarbeitungsvorgängen schneller ablaufen können.

"Der Übergang vom anschaulich - handelnden zum anschaulich - bildhaften und sprachlogischen Denken vollzieht sich in dem Maße, in dem sich höhere Typen der Orientierungs- und Untersuchungstätigkeit ausbilden."13) Denkoperationen des Kleinkindes, wie Analysieren, Vergleichen, Bewerten und Assoziieren sind noch stark an die konkrete praktische Tätigkeit - das Spiel - gebunden. Es werden Handlungen vollführt bzw. wiederholt, die früher schon einmal erfolgreich waren, um ein Bedürfnis zu befriedigen, nämlich Erwachsenentätigkeit und - verhalten nachzuahmen. äussere Anlässe und innere Zustände werden zur Triebkraft des Spiels und letztendlich zur Vervollkommnung der Denkoperationen.

Der Erwachsene ist ein wichtiges Anregungsmoment in dieser Entwicklung. Das betrifft vor allem auch das sich entwickelnde Sprechverhalten des Kindes. Ein Beispiel, dass die Sprache des Kindes durch Nachahmung der Laute seiner unmittelbaren Umgebung beeinflusst wird, zeigt das Sprechen in Dialekten. Das Kind lernt nicht primär hochdeutsch sprechen, sondern eignet sich die Sprechgewohnheiten der Umgebung an.

"Da diese Entwicklungsstufe des Menschen aber fordert, daß er als Kind alles klar, richtig und rein bezeichne, darum ist es so wesentlich nötig, daß auch ihm alles Umgebende richtig, klar und rein vorgeführt werde, daß er alles richtig, klar und rein anschaue und erkenne; beides ist unzertrennlich und bedingt sich gegenseitig." 14)

Die sich entwickelnde Sprache nimmt nun auch Einfluss auf das Verhalten des Kindes, vor allem auf das gedankliche Vorwegnehmen gezielter Handlungen. Während im Alter von drei bis vier Jahren das Wort noch an den zuerst mit diesem dem gebrauchten Gegenstand gebunden und nicht auf andere Gegenstände oder Vorgänge übertragbar war, nimmt die Verallgemeinerung danach im Alter von 5 bis 7 Jahren immer mehr zu. Die Sprache verselbständigt sich mehr und mehr, ohne direkte Anschauung oder Handlung. Das Kind lernt, Bedeutungen auch auf andere Sachverhalte zu transferieren. Dieser Prozess gelingt nur mit der demonstrierenden Unterstützung des Erwachsenen. OERTER (1987) beschreibt diesen Vorgang als Dekontextualisierung.

Fröbel stellt in diesem Erkenntnisstreben, das im Kinde geweckt werden muss, eine regelrechte Reihenfolge, vom Gefühl über die Anschauung zur Sprache, auf.

"Weiter bringt die Mutter dem Kinde die eigene Handlung desselben, demselben erst zum Fühlen, und dann später die Handlung an sich zum Anschauen. So sagt die in allem ihren Tun, und durch die stete Verknüpfung des Wortes mit demselben lieblich lehrende Mutter zu dem Kinde, . . ." 15)

Folgen verfehlter Spieltätigkeit

In seinem Entwicklungsgedanken geht Fröbel davon aus, dass am frühesten Erworbenes am wichtigsten, am nachhaltigsten ist und somit bekommt auch die Einflussnahme der Eltern auf die Spiel - und Sprachentwicklung einen wesentlichen Stellenwert.

Fröbel klagte.

"Die jetzige häusliche wie die Schulerziehung führt die Kinder zur Körperträgheit und Werkfaulheit; unsägliche Menschenkraft bleibt dabei unentwickelt; unsägliche Menschenkraft geht verloren!" und um das zu verhindern, schlug er im vorhergehenden Satz vor: "Kinder und Eltern halten die Tätigkeit des eigentlichen Arbeitens so sehr zum Nachteil ihrer selbst und so unwichtig für ihre künftigen Lagen, daß Erziehungs - und Lehranstalten es sich zur festesten Aufgabe machen müssen, diese zu steuern" 16)

Das war sein Ziel bei der Schaffung seiner "Allgemeinen Deutschen Erziehungsanstalt" 1816 und es ist, obwohl unsere Bürger aufgeklärter sind als im Verhältnis zu damals, unsere Aufgabe an dieser Internatsschule unter anderem, verfehlte Erziehungsmaßnahmen zu kompensieren. Die Mehrzahl unserer Kinder ist auch nicht mehr in der Lage zuzuhören, Gehörtes wiederzugeben oder Regeln einzuhalten. Diese Erscheinung behindert die Kinder enorm in ihrem kommunikativen Verhalten. Es fällt ihnen schwer, sich mitzuteilen und Forderungen an andere zu formulieren. Aus Verärgerung über ihr Unvermögen, ihr Wollen zu verdeutlichen, werden diese Kinder aggressiv gegen ihre mit Unverständnis reagierenden Partner oder können nicht ein Gefühl für angemessene Derbheit entwickeln. Ich sehe die Ursachen in mangelnder Gelegenheit zum Spiel im Kleinkindalter, aber auch in der Nachahmung, um Verhaltensmodelle und deren Zweckmäßigkeit auszuprobieren.

Der Erwachsene tritt in diesem Entwicklungsprozes als Vermittler zur praktischen Tätigkeit des Kindes auf. Wichtig dabei ist es, so auch Fröbel, daß das Kind selbständig dabei handelt und nicht durch die Ungeduld und Störungen im „Selbst- wertempfinden" der Erwachsenen im Tun behindert wird. Oft kann man beobachten, wie Eltern die Handlungen der Kinder unterbrechen, um ihnen zu zeigen, "dass es doch ganz leicht geht". "Leider gibt es auch noch solche Unglücksmenschen unter den Erziehern, sie sehen immer an den Kindern und Knaben kleine boshafte, tückische, lauernde Teufelchen, wo andere höchstens einen zu weit getriebenen Scherz oder die Wirkung einer zu sehr freigelassenen Lebenslust erblicken." 17)

Ein weiteres Moment im ineffektiven Spiel ist die Spielzeuggestaltung. Viele Spielmittel regen das Kind nicht zur Kreativität, zum Gestaltungstrieb an oder provozieren zu Verhaltensweisen, die für das Kindesalter untypisch sind; jene aber werden vom Kind unkritisch angenommen.

Eine gestörte Entwicklung im Kindesalter durch Mangel an Zuwendung oder Mißverständnis in der Erziehung "bringt unsägliches Unheil, Hemmung und Störung in der Entwicklung und Fortbildung des Menschengeschlechtes, . . . Alle Lebenssäusserungen eines Menschen, bei dem dies auf irgendeiner Stufe stattgefunden, behalten darum auch für das ganze Leben etwas Gewaltsames." 18)

Wir kennen in der modernen Psychologie den Begriff der Deprivation, die Unterlassung der Vermittlung von Bildungsinhalten. Diese führt zur geistigen Vernachlässigung und zu Intelligenzlücken. Die Lernmotivation des Kindes baut sich an dem Streben auf, das tun zu wollen, was der Erwachsene tut, ihm nachzuahmen. An entsprechenden Stellen wird das Kind feststellen, dass es verschiedene Tätigkeiten noch nicht vollführen kann; das Kind stellt Fähigkeits- und Fertigkeitslücken fest und ist deshalb angehalten, diese aufzuarbeiten. Wird das Kind in seinem Wollen nicht beachtet oder nicht angeleitet, um den Lerngegenstand zu bewältigen, verliert es nach und nach den Mut und die Energie und unterlässt die Tätigkeit. Bei Wiederholungen wird sich Missmutigkeit einstellen und wie Fröbel an anderer Stelle beschreibt "Müßiggang". Hier bildet sich die Grundlage für mangelnde und inadäquate Ausprägung einer Selbstorganisation des Lebens des späteren Erwachsenen.

OERTER (1987) beschreibt die Hypothese des kumulativen Defizits. Die geistige Entwicklung des Kindes wird sehr stark durch eine extreme Deprivation negativ beeinflusst (eine mäßige kann noch kompensiert werden). Die Defizite akkumulieren.

Ein Großteil unserer Kinder bildet aus diesem Grund nur schwer eine Lernmotivation aus. Sie verstehen nicht, warum der Lehrer sie fordert. Forderungen sind sie nicht gewohnt. Ähnlich wie bei den angeborenen Auslösemechanismen, die nach der Geburt nicht mehr trainiert oder erregt werden, verflacht der Trieb, sich zu beschäftigen bzw. tätig zu werden. Das Kind sieht kein Ziel für seine Tätigkeiten und wird untätig.

"...! ihr könnt hier mit einem Male den Tätigkeits- und Bildungstrieb eurer Kinder wenigstens für lange vernichten, wenn ihr die Hilfe eurer Kinder als kindisch, als unnütz, wenig fruchtend, ja vielleicht sogar als hindernd und hemmend zurückweiset...Der Knabe, das Mädchen werden so in ihrer innern Tätigkeit gestört, sie sehen sich aus dem Ganzen, mit welchem sie so innig eins fühlten, herausgesetzt, ihre innere ganze Kraft ist aufgeregt, sie sehen sich allein, wissen mit der erregten Kraft nichts anzufangen, ja sie selbst wird ihnen lästig, drückend, sie werden verdrossen, träge." 19)

Zitiert aus:

1) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. II, 1982, S. 38

2) ebd. S. 34

3) Fr. Fröbel: Brief an Gräfin Therese Brunszvik vom Januar 1842, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. III, Berlin 1982, S. 228

4) Fr. Fröbel: Des Kindes Leben, das erste Kindestun, 1838, ebd. S. 18

5) Fr. Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!" 1982, S. 32

6) ebd. S.

7) in: Oerter/Montada: Entwicklungspsychologie, Psychologie Verlags Union, München 1987, S. 215

8) ebd. S. 215

9) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. II, Berlin 1982, S. 37

10) ebd. S. 36

11) ebd. S. 37

12) ebd. S. 36

13) Elkonin, "Kinderpsychologie", Moskau 1960, S. 264

14) ebd. S. 37

15) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!" 1982, S. 42

16) ebd. S. 32

17) ebd. S. 74

18) ebd. S. 29

19) ebd. S. 61

20) in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie u. Pädagogische Psychologie, 1993, Bd. XXV, Heft 3, S. 267 - 278



Copyright © 2004 Esther Goldschmidt and Fred Zimmak