Das Konzept der Landerziehungsheime

Grundlagen des neuen Schultypus

Lietz zivilisations- und gesellschaftskritische Einstellung spiegelte sich auch in seinen Landerziehungsheimen wider. Er macht auf die zivilisatorischen Gefahren aufmerksam, welche die Menschen in der modernen, industriellen Gesellschaft unterliegen. Den Jugendlichen fehle es zunehmen an Sorgsamkeit, körperlicher Tauglichkeit, Erbarmen, und sie verfallen zunehmend der Selbstsucht. Ebenso lehnte er Genußmittel wie Alkohol und Nikotin ab. Als besondere Gefahrenquelle betrachtete er in diesem Zusammenhang das Leben in den Großstädten.

Auch der Erziehungswert der Familie wurde von Lietz und seinen Nachfolgern stark in Frage gestellt. Die Familie könne den Jugendlichen nicht den nötigen Freiraum geben, den sie bräuchten und die Erziehung durch die Familie wäre unzulänglich. In ihr würden die Jugendlichen zur Selbstzufriedenheit erzogen und bekämen einen zu individualistischen Charakter.

Besonders die Ablehnung der klassischen Schulform, deren Methoden, Inhalte und vor allem ihre Philosophie waren weitere Gründe für Lietz einen ganz neuen Schultypus zu entwickeln.

Die von Lietz entwickelten Landerziehungsheime vereinigten die Schule und das Heim. Die Kinder wurden hier vor störenden gesellschaftlichen Einflüssen geschützt und wurden im Sinne einer Totalerzeihung erzogen. Das Landerziehungsheim entsprach einer Lebensgemeinschaft, in der die Schüler neben den schulischen Aufgaben auch ihr Zusammenleben organisieren mussten.

Den Bezug zur Natur, zur Landschaft und dem Land wurde eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Die Natur verkörperte nach Lietz die reine und kraftvolle Welt.

Die gärtnerische, landwirtschaftliche Arbeit, sowie die körperliche und handwerkliche Arbeit im Allgemeinen waren ein integraler Bestandteil einer pädagogischen Erziehung. Es war ein Ausgleich zur rein geistigen Arbeit und ihr lag auch ein soziales Motiv zugrunde. Denn nur wer selbst die Erfahrung der körperlichen Arbeit gemacht hat, wäre nach Lietz dazu in der Lage, körperlich arbeitende Menschen zu achten und zu respektieren.

Die Erziehung sah Lietz als eigentliche Aufgabe der Schule und formulierte ihre Zielsetzung folgendermaßen:

Die Erziehung der anvertrauten Kinder zu harmonisieren, sie zu selbständigen Charakteren zu machen, die an Leib und Seele gesund und stark, die körperlich, praktisch, wissenschaftlich und künstlerisch tüchtig sind, die klar und scharf denken, warm empfinden, mutig und stark sein wollen.

Die Landerziehungsheime wurden somit zu einer Stätte der Jugend, in welcher sie nicht nur ein Anhängsel der Erwachsenen waren und nach den Interessen der Erwachsenen behandelt und geformt wurden. Sie waren ein Raum, wo Jugendliche "jugendlich sein" konnten und ihrer persönlichen Entwicklung Freiraum geschaffen wurde, unabhängig und frei von staatlicher, kirchlicher und familiärer Beeinflussung.



Copyright © 2004 Esther Goldschmidt and Fred Zimmak