Die natürliche Methode Berthold Ottos

Berthold Ottos natürliche Methode begründet sich auf der natürlichen Entwicklung des Kindes. Er setzt einen natürlichen Wissensdrang des Kindes voraus und sagt, dass jedes Kind von sich aus bereit ist zu lernen. Dieser Wissendrang bestehe seit der Geburt des Kindes und bis zum Eintritt in das Schulalter habe es alle Sinnesempfindungen und jede Art von Anschauung ausgebildet. Später fände lediglich eine genauere Ausgestaltung statt.

Wichtig bei der natürlichen Methode sei, dass man sich viel mit dem Kind beschäftigt, wie es auch eine Mutter vor der Schulzeit schon tut. Eine Mutter will ihr Kind zur Aufmerksamkeit anregen, sie spricht viel mit ihm und widmet ihm viel Zeit. Niemals aber würde eine Mutter ernstlich Zwang anwenden, um das Kind zu Aufmerksamkeit zu bringen. Sie überläßt es also dem Kind, wann es seinen Erkenntnistrieb betätigen will. Dieser Erkenntnistrieb ist das wirksamste Mittel des Unterrichts.

Das Kind lernt also aus Interesse in einem für das Kind günstigsten Augenblick. Otto behauptet das dieses natürliche Interesse durch die Schule stark gehemmt wird. Einmal durch plötzliche Freiheitsbeschränkung, dann durch Zurechtweisungen und durch Strafen für ein Verhalten, wie z.B. Fragen und Ausrufe, was bisher ein Mittel des Kindes war seine Neugier zu befriedigen. Der schlimmste Verstoß gegen die natürliche Methode sei jedoch, so Otto, der frühe Schreib- und Leselehrgang im siebten Lebensjahr des Kindes. Aus eigenem Antrieb würde das Kind erst etwa im Alter von elf Jahren das Lesen und Schreiben lernen. Will man also auf das natürliche Interesse des Kindes aufbauen, wäre ein solcher Lehrgang erst in diesem Alter ratsam.

Otto stellte außerdem fest, dass „die Leichtigkeit des Lesenlernens proportional ist der Fähigkeit im Sprechen." Deshalb sieht Otto einen über Jahre ausgedehnten Anschauungsunterricht und Sprechunterricht für sehr sinnvoll an, der damit auch direkt an die Kinderstubenzeit anknüpft und nicht wie die bisherige Schulzeit eine „unüberbrückbare Kluft" zwischen diesen entstehen lässt.

Unter Anschauungsunterricht versteht Berthold Otto nicht den Unterricht mittels Abbildungen, sondern den Unterricht am Objekt selbst, vorausgesetzt es steht im Interesse des Kindes. Ihm geht es darum, dass das Kind das Objekt begreift und versteht und nicht bloß „anstarrt". Die sinnliche Erfahrung ist wichtig, und erst nach mehrfachen Anschauungen und Kombinieren dieser Anschauungen, ebenfalls durch sinnliche Wahrnehmungen, ist das Kind allmählich in der Lage auch ohne sinnliche Wahrnehmungen, die Anschauungen zu kombinieren. Otto pflegt den Grundsatz: „Wir pflegen von uns selbst nur das zu verlangen, was wir wirklich können, von Kindern aber immer, was sie unserer Meinung nach können sollten." Deshalb sollte der Unterricht den Schülern gerecht werden und nur Anforderungen stellen, die die Schüler auch bewältigen können. Ansonsten könnten bei dem Schüler Misstrauen in die eigene Geisteskraft eintreten und zum „Bestreben ein Wissen zu heucheln, das man nicht besitzt" führen.



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