Berthold Otto (1859-1933)

Lebenslauf

Berthold Ottos Lebensweg und sein Werk hängen eng zusammen. Er wurde am 6. August 1859 als Sohn eines Gutsbesitzers in Bienowitz im Kreise Guhrau in Schlesien geboren.

Nach der Versetzung seines Vaters als aktiver Offizier nach Rendsburg besuchte Berthold Otto dort und später in Schleswig das Gymnasium bis zum Abitur. Seine Erinnerungen an diese Zeit waren durchweg positiv.

Dann studierte er in Kiel und Berlin vielerlei in den Bereichen Philosophie, Pädagogik, Volkswirtschaft und Sprachwissenschaft, um Hochschullehrer zu werden. Letztendlich brach er das Studium jedoch aufgrund Schwierigkeiten mit einigen Professoren und ihrer Denk- und Arbeitsweise ab.

Statt dessen wurde er Privatlehrer: Nachhilfelehrer von Schülern Höherer Schulen, auch zweier blinder Kinder. Dieser Unterricht bedeutete ihm sehr viel mehr als die Beschaffung seines Lebensunterhaltes, er nutzte ihn zum ständigen Studium der geistigen Vorgänge beim Lernen und Lehren. Es entstand sein erstes Buch "Der Lehrgang der Zukunftsschule".

Zu seiner wirtschaftlichen Sicherung nahm er später eine Stelle als Zeitungsredakteur in Hamburg an, dann den Posten eines Redakteurs bei Brockhaus in Leipzig. Diese letztere Tätigkeit vor allem hat sein Denken und seine Ausdrucksfähigkeit im Hinblick auf Klarheit und Allgemeinverständlichkeit weiter gefördert. Er schrieb zudem Abhandlungen, hielt Vorträge und unterrichtete schließlich auch seine eigenen heranwachsenden Kinder, statt sie in die öffentlichen Schulen zu schicken. Zuerst wollte man ihm dies verwehren, aber nach der Veröffentlichung seines Artikels „Die Zwangs- und Strafschule" erlangte er doch die Genehmigung. Damit war seine pädagogische Leidenschaft erwacht, und er machte sogar die Erfahrung, dass es ihm selbst gelang, neue Unterrichtsweisen zu finden.

Im Jahre 1902 zog er mit seiner Familie auf ein äußerst großzügiges Angebot des Preußischen Kultusministeriums hin nach Berlin-Lichterfelde, um sich dort seinen pädagogischen Arbeiten zu widmen. Sein Schülerkreis erweiterte sich, bis die Anzahl der Schüler so groß war, dass er 1906 eine eigene Schule eröffnete. Als seine Wohnung nicht mehr ausreichte, begann der Bau der „Hauslehrerschule", auch „Bethold-Otto-Schule" genannt, die er bis zu seinem Tode leitete. Sie besteht bis zur Gegenwart, weitergeführt von seinen Töchtern.

Täglich hat Otto einen Teil des Unterrichts in seiner Schule, vor allem den Gesamtunterricht, selbst durchgeführt. Er zeigte persönliche Zurückhaltung, verbunden mit einem interessierten ernstnehmenden Eingehen auf die Äusserungen der Schüler und ein eindringliches Nachgehen bei jeder weiterführenden Frage. Er besaß die Fähigkeit anzuregen, zu fragen und zuzuhören.

All die Zeit über verfasste er pädagogische, politische und volkswirtschaftliche Schriften, etwa 60 Titel. „Die Schulreform im 20. Jahrhundert" (1898) , „Mütterfibel" (1903) und „Geistiger Verkehr mit Schülern im Gesamtunterricht" (1907) sind nur einige nennenswerte davon.

Berthold Ottos allgemeinpädagogische Grundgedanken beziehen sich wesentlich auf das Vorschulalter.

Die ersten 5-6 Lebensjahre des Kindes, und hier vorwiegend die Zeit des Sprechenlernens und die weitere Sprachbildung, interessierten ihn lebhaft. Damit lenkte er im Unterschied zur traditionellen Pädagogik die Aufmerksamkeit auf die Familie und ihre Bedeutung für die Bildung des Kindes, wie es einst auch Pestalozzi und Fröbel getan hatten.

Aus seinen Beobachtungen dieser Bildungsvorgänge ergaben sich seine Pädagogik und mit ihr auch seine neuen schulpädagogischen Konzeptionen. Er selbst bezeichnete die psychologische Beobachtung als die Grundlage aller praktischen Erziehung und aller pädagogischen Theorie. Er sagte einmal:

„Pädagogik muss angewandte Psychologie werden."

Ihm schien es wichtig, die gemachten Beobachtungen schriftlich festzuhalten, wie in dem Tagebuch über seine jüngste Tochter „Von der Helga". Immer wieder betonte er die ausgesprochene geistige Wachheit jeden Kindes, seinen erstaunlichen Drang nach Erkenntnis, seine geistige Aktivität, seine spontane forschende Hinwendung zu den Menschen und Dingen seiner Umgebung. Dies im Auge behaltend, wandte er sich scharf gegen den üblichen Erwachsenenhochmut, gegen das mitleidige Lächeln und das Verlachen des Kindes. Man sollte aufhören, in den Kindern nur dumme kleine Geschöpfe zu sehen, die noch viel zu lernen hätten.

Das Kind ist ernst zu nehmen und als Mensch zu respektieren.

Das Hauptthema der Pädagogik Berthold Ottos war die Frage nach dem Vorgang der geistigen Bildung und damit des Erkennens, des Lernens und Lehrens.

Er spottete: „Die herkömmlichen Schuleinrichtungen beruhen auf der Überzeugung, dass der Geist ein Hohlgefäß sei, das man mit würdigem Inhalt zu füllen habe, und dass der Geist die unangenehme Eigenschaft habe, sich dieser Ausfüllung heftig zu widersetzen, so dass die Prozedur ohne gelinde Gewalt unausführbar wäre." Demgegenüber hatte er die Vorstellung, dass alle geistige Bildung sich als ein geistiger Wachstumsprozess von innen her vollzieht. Analog dem körperlichen Wachstum unterliegt er bestimmten geistigen Entwicklungsgesetzen. Otto übertrug also den biologisch-organischen Begriff des Wachstums auf das Geistige im Sinne einer organischen Lebensanschauung, wie sie besonders auch in seinem Begriff vom „volksorganischen Denken" und Bezeichnungen wie „natürlich", „organisch", „von selbst" und „Erkenntnistrieb" zutage trat. Jedes organische Wesen sucht sich das aus, was ihm gerade förderlich ist, und weist das zurück, was ihm schädlich ist.

Als äußerst wichtig dabei nennt Otto das „Fragerecht" des Kindes. Die Frage betrachtet er als Instrument des Kindes bei seinem Streben nach Erkenntnis. Mit ihr kommen seine geistigen Interessen zum Ausdruck, mit ihr sucht es empfundene Lücken in seinem Wissen ausfüllen. Der Gefragte soll ihm in jedem Fall antworten, nach bestem Vermögen, so dass das Kind zumindest sich geistig ernstgenommen fühlt und sich nicht abgespeist vorkommt.

1911 begründete er eine eigene Gesamtschule, die er bis zu seinem Tode 1933 leitete.



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