Lehrmittel des natürlichen Unterrichts Berthold Otto

Wenn mit den Kindern über Feld und Wald, Stadt und Straßen, Fluss und Bach, Bäumen und Sträuchern geredet werden soll, ist es sinnvoll, mit Ihnen dorthin zu gehen, wo sie solche Dinge finden, um die Besprechung an Ort und Stelle vornehmen zu können. Spaziergänge sind so gesehen ein nötiger Bestandteil eines solchen Unterrichts. Auch die Lehrer werden dadurch entlastet, und an der äußeren Organisation dürfen solche Spaziergänge nicht scheitern.

Andere Dinge dagegen können zu den Kindern kommen: Hunde, Katzen, Kaninchen, Mäuse, Hühner, Gänse, Enten, Sperlinge, Tauben, ja Eulen, Sperber, Frösche, Schlangen, Fische usw.

Bisher genießen nur Blumen und ihre geflügelten Verehrer, die Käfer und Schmetterlinge diesen Vorzug, in der Schule sein zu dürfen. Da Kinder den Umgang mit Tieren jedoch lernen sollen, wäre es gut, wenn sie auch in der Schule erweiterte Möglichkeiten bekommen würden. Das geht nur, wenn auch andere Tiere in der Schule gehalten werden dürfen. Die Fütterung würde dann z.B. den Schülern abwechselnd übertragen werden.

Sammlungen lebendiger Tiere haben für Schüler und Schülerinnen starke Anziehungskraft. Sie ziehen erstens alles an sich, was sonst unbeachtet weggeworfen wird, und zweitens machen sie ihre ganze Umgebung zu Sammlern; sie veranlassen die Menschen, das, was diese sonst weggeworfen hätten, wenn es ihnen in die Hände kam, nunmehr sogar gelegentlich mit einiger Mühe aufzusuchen. Zudem erlangt jede Schulsammlung naturgemäß einen gewissen Ruf, und damit wird der Wetteifer geweckt. Durch solche Sammlungen lebendiger Tiere werden auch zoologische Sammlungen in engerem Sinne verständlich. Ausgestopfte Tiere aller Art können ebenfalls kostenlos beschafft werden, wenn nur der Lehrer die Technik des Ausstopfens erlernt und ältere SchülerInnen darin unterweist. Außerdem gehören auch Käfer-, Schmetterlings- und Raupensammlungen dazu.

Herbarien dagegen sind nur für die von Nutzen, die sie selbst hergestellt haben. Kindern muss man lebendige oder wenigstens solche Pflanzen vorführen, die noch die ungeminderte Gestalt der lebendigen zeigen. In diesem Zusammenhang ist es zudem wichtig, dass Pflanzen von ihrem ersten Entstehen an im Wachstum beobachtet werden, was im Schulgarten oder eventuell sogar an einfachen Blumentöpfen oder Kästen geschehen kann, was übrigens in den Schulen schon mehrfach geschieht.

Die Mineraliensammlung müsste neben den Schaustücken auch solche enthalten, die für die Unterrichtszwecke nach Belieben zerstört werden können.

Die hier genannten Lehrmittel setzt der Lehrgang allgemein voraus, wobei die selben Dinge natürlich auch immer von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachtet werden können.

Auffällig ist neben diesen Materialien, daß Kinder auch ein Interesse für alle Gegenstände haben, die von Menschenhand geformt sind, so daß diese Dinge ebenfalls zum Gegenstand des Unterrichts gehören sollten. Zum einen, um durch Besprechungen klare Anschauungen von eben diesen Dingen zu erzeugen, und zum anderen, um dadurch zum wirklichen Verständnis und richtigen Gebrauch der entsprechenden bildlichen Ausdrücke zu führen. So wird also auch hier wieder auf die Anziehungskraft der Sammlungen für Kinder gebaut. Da es unendlich viele Geräte bzw. Gegenstände gibt, die von Menschenhand geformt sind, und sie aus diesem Grund in der Klasse übermäßig viel Platz einnehmen würden, bietet es sich an, Nachbildungen mit den Unterricht zu bringen - nach und nach, und niemals zuviele Gegenstände bzw. Geräte auf einmal. Es müssten eben nur immer alle die Gegenstände, die zusammen besprochen werden sollen, in gleichem Maßstabe hergestellt werden. All die genannten Dinge sind wünschenswert für alle Beteiligten, wenn ein natürlicher Unterricht durchgeführt werden soll.

Von der Ermüdung

Besondere Stimulantia, z.B. das Versprechen einer Belohnung oder die Furcht vor einer strengen Strafe können Leistungen erhöhen, manchmal sogar sehr erheblich. Das Gefühl der Abspannung nach geistiger Tätigkeit kennt jeder, und jeder weiß, dass man in so einem Zustand meistens die einfachsten Dinge nicht mehr begreift. In einer Klasse o.ä. können sehr gut einzelne Gruppen ermüden, ohne dass die anderen in Mitleidenschaft gezogen werden. Manche Menschen wissen sich in solchen Situationen zu helfen, selbst wenn sie zum Ausruhen, dem einfachsten Mittel, keine Zeit finden. Sie legen ihre Arbeit fort und beschäftigen sich jetzt zunächst einmal mit etwas ganz anderem. Sind dann einige Stunden vergangen, kehren diese Menschen zu ihrer eigentlichen Arbeit zurück, und nun erscheint das, was vorher unüberwindlich schwer war, plötzlich angenehm leicht.

Bei einem Kind erfolgt die Ermüdung i.d.R. erheblich schneller. Der wissenschaftlich gebildete Lehrer sollte genau die Ermüdungsgrenzen seiner SchülerInnen kennen. Das ist für ihn wichtiger als die Kenntnis der Maximaldosen für den Arzt. Es ist mehr als konstruktiv, wenn der Lehrer für das feinste Wahrnehmungsvermögen für jedes geringste Anzeichen der Übermüdung ausgebildet ist. Die Anwendung von Reizmitteln, besonders von Strafen, sollte bei geistiger Anstrengung noch sorgfältiger als bei körperlicher vermieden werden. Nur so kann man den Geist auf Dauer gesund erhalten. Welche Reihenfolge von Besprechungen am vorteilhaftesten ist, muss durch Ausprobieren festgestellt werden.



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