Loris Malaguzzi

Nur durch Bewegung können neue Wege sichtbar gemacht werden” 
                                                                             L. Malaguzzi

Die Aktivitäten sollen sich auf «das Kind, das wir vor uns haben, nicht auf das Kind, das nur in theoretischen Entwicklungsmodellen existiert», beziehen.

(Loris Malaguzzi)

 

Loris Malaguzzi - Hundert Sprachen für Kinder

Kopiert aus dem Internet von Kirsten Wörnle

©http://zerosei.comune.re.it

Loris Malaguzzi (1920 - 1994) sah sich als "Provokateur in Sachen Kindheit". Der (Mit-)Begründer der Reggio-Pädagogik war überzeugt, dass Kinder hundert Sprachen haben, von denen ihnen 99 geraubt werden. "Kinder können uns mit ihren Problemen, aber vor allem mit ihren Fähigkeiten und ihrer Poesie stören", schrieb Malaguzzi. Er wandte sich gegen die Trennung der Lebensbereiche von Kindern und Erwachsenen, von öffentlicher und privater Erziehung sowie gegen ein defizitäres Bild vom Kind.

Malaguzzi als Leiter eines Gemeinschaftsprojektes
Malaguzzis Name verbindet sich mit der Reggio-Pädagogik, auch wenn er keine Gründergestalt war wie etwa Fröbel oder Montessori. Eher ist er als wirkungsvolle Einzelperson zu verstehen, der schließlich Leiter eines großen gemeinschaftlichen Projektes wurde. Denn die Reggio-Pädagogik entstand durch die einmalige Zusammenarbeit von Bürgern und Eltern aus der norditalienischen Stadt Reggio Emilia mit ErzieherInnen, KommunalpolitikerInnen, FachberaterInnen, HauswirtschafterInnen, KunsterzieherInnen und anderen mehr.

"Wohin wollen wir unsere Kinder erziehen?", fragten sich die Bürgerinnen und Bürger aus Reggio Emilia nach dem Zweiten Weltkrieg. Gemeinsam wollten sie Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder übernehmen und sie zu Demokratie, Solidarität sowie sozialer Gerechtigkeit erziehen. Durch eine neue Kindererziehung sollte nach dem Faschismus eine neue Gesellschaft befördert werden.

Der erste Nachkriegskindergarten in Reggio Emmilia
Aus eigener Kraft, fast ohne finanzielle Unterstützung, baute die Bevölkerung im Vorort Villa Cella den ersten Nachkriegs-Kindergarten. Der junge Grundschullehrer Loris Malaguzzi war davon so begeistert, dass er die Baustelle besuchte. Fasziniert vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger, blieb er dort, protokollierte den Prozess des Aufbaus sowie die Anfänge der Kinderbetreuung und erstellte eine Dokumentation über diese Initiative. Später sollte er der langjährige Leiter der kommunalen Kindertagesstätten werden.

Der Mensch Malaguzzi
Doch zunächst ein Rückblick: Von 1939 an hatte der Lehrer Malaguzzi vier Jahre lang im Hochgebirge gearbeitet. 1943 wechselte er an die reggianische Grundschule, in der er selbst einmal Schüler gewesen war. Anschließend arbeitete er drei Jahre an einer Mittelschule, deren Leiter er schließlich wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Malaguzzi in einer UNESCO-Organisation, die Kinderdörfer einrichtete.

Weil er sich an der Schule nicht verwirklichen konnte, ging der Pädagoge 1951 in die Erwachsenenarbeit und beschäftigte sich mit Ex-Partisanen und Kriegsheimkehrern, die ohne Beruf waren. Er belegte zudem einen sechsmonatigen Psychologie-Kurs der Universität Rom, der es ihm - nach der Einstellung des Rückkehrerprogramms -erlaubte, ein Zentrum für behinderte Kinder in Reggio Emilia zu gründen. Bis 1970 war Malaguzzi dort offiziell beschäftigt, auch wenn er schon viele Jahre zuvor die städtischen Kindertagesstätten in Reggio Emilia beriet (s. Göhlich, S. 151). Von 1970 bis 1985 steht er an der Spitze der kommunalen Kindergärten und Krippen in Reggio Emilia.

Die Reggio-Pädagogik sieht das Kind als Gesamtpersönlichkeit. Sie wandte sich gegen die Aufspaltung der Lebenswelten, Gefühle und Erfahrungen. Malaguzzi schreibt dazu:

"Ein Kind hat hundert Sprachen, doch es werden ihm neunundneunzig geraubt. Die Schule und die Umwelt trennen ihm den Kopf vom Körper. Sie bringen ihm bei ohne Hände zu denken, ohne Kopf zu handeln, ohne Vergnügen zu verstehen, ohne Sprechen zuzuhören, nur Ostern und Weihnachten zu lieben und zu staunen… Sie sagen ihm, dass das Spielen und die Arbeit, die Wirklichkeit und die Phantasie, die Wissenschaft und die Vorstellungskraft, der Himmel und die Erde, die Vernunft und der Traum Dinge sind, die so nicht zusammengehören." (zitiert nach Dreier, S. 15)

In ihrer Satzung hält die Reggio-Gemeinde daher fest, dass "den Kindern eine reiche und harmonische Erfahrung ihres Lebens ermöglicht" wird. Dazu gehört auch, dass die unnatürliche Distanz zur Lebenswelt der Erwachsenen aufgehoben wird. Statt Mickey-Mouse-Tapeten befürworten die Reggianer im Zweifelsfall Kunstdrucke an den Wänden.

Kinder sind Forscher
Malaguzzi vergleicht Kinder mit Dichtern, Musikern, Naturwissenschaftlern. Sie besitzen die "Kunst des Forschens" und sind "sehr empfänglich für den Genuss, den das Erstaunen bereitet" (s. Dreier, S. 69). Er wendet sich gegen ein Bild vom Kind, das Defizite festschreibt, um sie dann mit gezielten Förderprogrammen auszugleichen. Das Kind ist vielmehr ein aktiver und kreativer Gestalter seiner Entwicklung und seiner Beziehungen zur Umwelt.

ErzieherInnen dienen dem Kind dabei als wichtige Ansprechpartnerinnen, die es durch stabile Beziehungen unterstützen. "Ein unsicheres Kind", schreibt Malaguzzi, "kann nicht forschen. Ein sicheres Kind hingegen ist reich - so wie alle Kinder eigentlich reich sind -, denn es hat Neugier und Vorstellungskraft".

Die Einrichtung der Reggio-Kindergärten und -Krippen folgt dem Prinzip des "Raums als dritter Erzieher". Die Umgebung soll anregen und autonomes Lernen ermöglichen. Malaguzzi bezeichnet die Räume als "Werkstätten, in denen die Kinder die Welt untersuchen und erforschen" (s. Dreier, S. 79).

Die Reggio-Pädagogik fand weltweit Anerkennung. 1991 schreibt die amerikanische Zeitschrift "Newsweek": "In Reggio Emilia gibt es die schönsten Krippen und Kindergärten der Welt". Das Magazin verleiht den Einrichtungen einen Oskar für eine Pädagogik, die den vielerorts üblichen Vorstellungen zur Kindererziehung neue und außergewöhnliche Ideen entgegensetzt.

Loris Malaguzzi hat diesen Ideen oftmals pointiert Ausdruck gegeben. Seine theoretischen, zum Teil unveröffentlichten Aufzeichnungen lassen sich allerdings nicht als Gebrauchsanweisung für die Reggio-Pädagogik lesen. Reggio lässt sich nicht einfach kopieren. Als eine "Pädagogik des Werdens" befindet sie sich in ständiger Interaktion mit dem Umfeld. Loris Malaguzzi starb im Januar 1994 in Reggio Emilia an den Folgen eines Herzinfarkts.

    von W.C.