Die Waldorfschule



Ein kurzer Abriss über den Unterricht an den „Freien Waldorfschulen“



Die erste Waldorfschule

Die erste Waldorfschule entstand 1919 in Stuttgart für die Arbeiterkinder der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Der damalige Direktor Emil Molt bat Rudolf Steiner auf der Grundlage der Anthroposophie eine Schule zu gründen und zu leiten. Das war die Geburtsstunde der Waldorfpädagogik. Mit ihr wurde zum erstenmal das Prinzip sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen verwirklicht. Unabhängig von sozialer Herkunft, Begabung und späterem Beruf erhalten junge Menschen eine gemeinsame Bildung. Als erste Gesamtschule haben die Waldorfschulen das mit dem vertikalen Schulsystem verbundene Prinzip der Auslese durch eine Pädagogik der Förderung ersetzt.

Kein Sitzenbleiben

Alle Schüler und Schülerinnen durchlaufen ohne 1 Jahr wiederholen zu müssen (das sogenannte Sitzenbleiben) 12 Schuljahre. Der Lehrplan der Waldorfschulen ist auf den vielschichtigen Möglichkeiten der in den Kindern liegenden seelischen und geistigen Veranlagungen und Begabungen ausgerichtet. Deshalb tritt vom 1. Schuljahr an neben den mehr sachbezogenen Unterrichtsgebieten ein vielseitiger künstlerischer Unterricht. Durch diesen werden die für den einzelnen Menschen wie für die Gesellschaft wichtigen schöpferischen Fähigkeiten und Erlebniskräfte gefördert.

Künstlerisch-handwerklicher Unterricht

Ein vielfältiger handwerklicher Unterricht fördert die differenzierte Ausbildung des Willens und die lebenspraktische Orientierung des Schülers.

Entwicklungsorientierter Lehrplan

Ein entscheidendes Prinzip des Waldorflehrplans liegt in der Abstimmung der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen auf die Prozesse kindlichen Lernens und die Stufen menschlicher Entfaltung in Kindheit und Jugend. Der Unterricht ist von Schulbeginn an auf das Ziel innerer menschlicher Freiheit hinorientiert.

Bildhafter Unterricht

In den ersten Schuljahren, in denen die eigene Urteilskraft der Schüler erst heranreift, ist "bildhafter" Unterricht ein wesentliche Unterrichtsprinzip. Die Tatsachen werden so behandelt, dass die Schüler zusammen mit dem Anschaulichen auch das Gesetzmäßige und Wesenhafte der Dinge im Sinne echter Bilder verstehen und erleben lernen.

Wissenschaftlicher Unterricht

Dem Streben nach eigener Lebensgestaltung und Urteilsbildung vom 14. Lebensjahr an entspricht der wissenschaftliche Charakter vieler Unterrichtsfächer vom 9. bis 12. Schuljahr. Die Waldorfschulen sehen hier die pädagogische Aufgabe nicht darin, eine voruniversitäre Ausbildung zu betreiben, sondern den Unterricht inhaltlich so zu vertiefen, dass er sich mit den Lebensproblemen des jungen Menschen verbinden kann und Antworten auf seine Lebensfragen gibt.

Epochenunterricht

Ein wichtiges Mittel, um den Unterricht ökonomisch zu gestalten, ist der Epochenunterricht. Er wird in den Fächern durchgeführt, in denen Sachgebiete in sich geschlossen behandelt werden können (Deutsch, Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften usw. ). Gebiete, die laufender Übung bedürfen (künstlerischer Unterricht, Englisch, Französisch, Russisch - Fremdsprachen vom 1. Schuljahr an), werden in Fachstunden erteilt, wobei auch hier manche Waldorfschulen in den letzten Jahren verstärkt Epochenunterricht durchführen.

Zeugnisse und Abschlüsse

Die Waldorfschulen haben mit der Auslese auch das übliche Zensurensystem abgeschafft. Die Zeugnisse bestehen aus möglichst detaillierten Charakterisierungen, die die Leistung, den Leistungsfortschritt, die Begabungslage, das Bemühen in den einzelnen Fächern durchsichtig machen. Die Schüler schließen die Schule mit der Mittleren Reife, Fachhochschulreife oder dem Abitur (nach dem 13. Schuljahr) gemäß den in den Bundesländern jeweils geltenden Regeln ab.

Selbstverwaltung

Als Freie Schulen haben die Waldorfschulen die hierarchisch organisierte Außenlenkung der staatlichen Schulen durch eine freiheitliche Verfassung ersetzt. Die Selbstverwaltung erfolgt durch Eltern und Lehrer gemeinsam und stellt ein sehr zukunftsorientiertes soziales Erfahrungsfeld dar. Die pädagogische Leitung wird von der wöchentlichen Lehrerkonferenz wahrgenommen, an der alle Lehrer gleichberechtigt mitwirken. Das Bemühen um das Verständnis des Menschen, seiner Lebensgesetze und um Fortentwicklung der Pädagogik auf der Basis der anthroposophischen Geisteswissenschaft bildet die gemeinsame Grundlage.

Finanzierung

Ungeachtet der weltweiten fachlichen Anerkennung der Waldorfschulen und der verfassungsrechtlichen Gleichstellung der Schulen in freier Trägerschaft mit den staatlichen Schulen bedarf es dauernder Bemühungen auf politischem und administrativem Felde, dass diesem Umstand bei der Schulaufsicht und Finanzierung der Schulen entsprochen wird. Die Waldorfschulen in Deutschland erhalten staatliche Zuschüsse, die aber die Betriebskosten nur zum Teil decken. Die Elterbeiträge sind an den meisten Schulen nach Einkommen gestaffelt.



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